Emotionale Grausamkeit kann schlimmer sein, als es Schläge je sein könnten

Er schlug mich nie. Nie erhob er seine Hand, um mich zu züchtigen. Nie trug ich blaue Flecke, die mich daran erinnerten, was er mir letzte Nacht angetan hatte. Niemals sah man mir äußerlich an, was ich innerlich ertrug.

So oft lag ich weinend auf dem Badezimmerboden und fragte mich, wann das alles vorbei sein würde. Wie viel ich noch ertragen könnte. Wie lange das eigentlich schon so ging.

So oft hatte ich sein Brüllen im Ohr und es wollte nicht aufhören. Sah ich seine hasserfüllten Augen auf mich herabblicken. Sah ich ihm an, dass er gerade wieder dachte, was für ein Nichtsnutz ich sei. Hörte ich ihn sagen, dass mich keiner wollen würde, dass ich froh sein könnte, dass er es mit mir aushielte, dass ich dankbarer sein sollte.

Doch er schlug mich nie.

So oft saß ich zusammengekauert in der Ecke und mein Kopf war unfähig zu reagieren, fragte ich mich wie es so weit kommen konnte.

So oft sah ich in den Spiegel und erkannte die Frau darin nicht wieder. So schwach und so gefallen.

So oft überlegte ich angespannt hin und her. Meine Gedanken schossen durch die Luft, wie seine Worte zu mir. Gab es eine Möglichkeit hinaus?

So oft überlegte ich zu gehen, schmiedete ich den Plan einfach aus der Tür zu schreiten und nie wieder zurückzukehren. Und so oft tat ich es nicht.

So oft lag ich danach doch wieder neben ihm und hörte ihn entspannt neben mir ein und aus atmen.

So oft hörte ich mir danach an, wie alles meine Schuld war. Dass ich ihn nicht provozieren durfte, dass er dann gar nicht anders könnte, dass ich ihn dazu trieb.

Doch er schlug mich nie.

So oft konnte ich nicht mehr und wusste doch keinen Ausweg. Ich hatte nicht den Mut zu gehen. Ich hatte nicht die Kraft zu bleiben. In Gedanken war ich schon tausende Male geflüchtet und ich sagte mir, dass ich wirklich gehen würde, eines Tages, irgendwann, würde ich ihn verlassen.

Aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen Monate und ich war immer noch hier. Ich sagte mir, würde er einmal, nur ein einziges Mal Hand an mich legen wäre ich weg. Und jeder würde es verstehen. Er hatte mich geschlagen und ich ging. Aber dazu kam es nicht.

Denn er schlug mich nie.

Eines Tages war „oft“, dann ein „oft“ zu viel. Ich ging. Ich sah endlich ein, dass es nie ein Ende nahm und dass ich mir selbst erlauben musste das zu beenden. Auch wenn es keine körperliche Gewalt war, war es doch Gewalt und Gewalt ist nie okay, egal wie sie sich äußert.

Ich hoffe, dass Frauen, die auch so oft dasselbe erleben und ihre blauen Flecken und Wunden jeden Tag innerlich mit sich herumtragen, das hier lesen und sich eines Tages auch sagen, dass es ein „zu viel“ gibt und dass Gewalt früher beginnt, als erst mit Schlägen.

Country: US